1 x Komplett mit allem, bitte! – Radlager und Achsstümpfe beim Land Rover Defender
235.000 Kilometer ist unser Land Rover Defender 110 Td4 2.2 jetzt gelaufen. Nach diversen Schlammeinsätzen und Island meldete sich lautstark ein Radlager. Zeit, sich den Lagern und Achsstümpfen zu widmen.
Irgendwann ist es halt so weit, dann sind neue Radlager fällig. Bei unserem Td4 war es vor wenigen Wochen so weit. Das ist auch in Ordnung so, er ist immerhin 235.000 km gefahren, hat etliche Male Schlammpfützen gesehen und zuletzt malträtierten die isländischen Pisten das Fahrzeug. Dem Radlager vorne links war es dann wohl zu viel des Guten oder des Wassers und des Schlamms und zu wenig des Fetts, eine Lagerrolle brach aus aus dem Käfig aus, was sich mit einem markerschütternden Gekreische, auch bei langsamster Fahrt, bemerkbar machte.
Da der Wagen es nicht mal mehr in unsere Halle schaffte, baute ich das ganze nach alter Väter Sitte wieder in der Einfahrt aus, brachte den Radträger und die Nabe in die Halle, tauschte die Lager und baute alles wieder ein. Dabei sah ich schon, dass die Achsstümpfe auch getauscht werden sollten. Die Simmerringe hatten deutliche Laufspuren hinterlassen. Also, ab damit in die Halle und auf die Bühne, bei FWD alle Teile bestellt und dann „einmal mit alles!“, ein Rundum-Tausch gemacht.
Das sah alles nicht mehr so prickelnd aus. Im offensichtlich defekten Radlager war Wasser zu finden und viel festklebender Dreck, aber kaum Fett. Auch ein anderes Lager hatte wohl Wasser genommen und die Achsstümpfe waren bis auf einen ziemlich fertig.
Rundum-Tausch
Welche Teile ihr braucht
Da kommen einige Teile zusammen…
- 2 x Achstumpf vorne
- 2 x Achstumpf hinten (mit ABS)
- 2 x Papierdichtung Achsstunpf vorne
- 2 x Papierdichtung Achsstumf hinten (mit ABS)
- 2 x Lager Achsstumpf vorne
- 4 x Simmerrinmg Achstümpfe
- 8 x Radlager
- 4 x Simmerring Radnabe
- 24 x Schrauben mit Sicherungslack für Achsstümpfe
- 4 x Radlagermutter mit Umschlagkragen
In der Halle konnte ich mir dann ein Rad nach dem anderen vornehmen. Für jedes Rad heißt es also, Rad runter, Bremssattel lösen und festbinden (aufpassen, dass die Bremsleitung nicht knickt), Mitnehmer abschrauben, Radnabe mit Bremsscheibe und den Lagern abziehen und Achsstumpf abschrauben. Achtung, wenn der vordere Achsstumpf abgeschraubt wird, läuft die Schmierfüllung (One-Shot) des Homokineten raus, also einen Behälter drunter stellen.
Das Runde muss ins Runde
Die Achsstümpfe für vorne und hinten unterscheiden sich. Die vorderen Achsstümpfe haben keine Loch für den ABS-Sensor aber dafür ein Rollenlager und einen Simmerring für die kurze Welle, die vom Homokineten kommt. Auf der Innenseite außen sitzt dann noch die Anlaufscheibe für den Homokineten. Der Simmerring hat im Austausch meistens einen Metallring, das Original nicht. Der Metallring zeigt zur Innenseite, also zum Homokineten und wird bis zum Anschlag (vorsichtig) eingetrieben. Dann kommt das Nadellager, das bündig eingesetzt wird, mit der Schrift auf dem Lagerring lesbar. Sehr hilfreich ist da eine Einbauhilfe. Meine war ein ausgedienter Irgendwas-Metallring. Dann beides, Simmerring und Nadellager mit Getriebeöl einölen.
Die Anlaufscheibe sitzt sehr fest. Ich bekam sie nur mit einer Rohrzange (Knipex 83 30 015) runter. Zur Schonung legte ich noch einen Lappen drum, aber ein paar Macken bekommen die weichen Ringe dann schon. Aber solange die obere Fläche intakt bleibt und der Ring nicht zusammengedrückt wird (wenn er gelöst ist), ist alles ok. Manchmal muss man sie auch etwas warm machen, damit sie sich ausdehnen. Mit einer planen Scheibe aufgelegt, kann der Ring dann mit ein paar sanften Schlägen auf den neuen Achsstumpf aufgebracht werden.
Achsstumpf montieren
Es versteht sich von selbst, dass die Dichtflächen und der Schutzring aus Blech, an denen der Achsstumpf befestigt wird gereinigt und entfettet werden. Ich entfette auch die sechs Gewinde und gehe ggf. mit einem Gewindeschneider durch. Wenn ich sie dann mit Bremsenreiniger und Druckluft ausblase halte ich von hinten einen Lappen gegen die Öffnung, damit kein oder zumindest nicht zuviel Bremsenreiniger und Dreck im Achsschenkelgehäuse landen. Oft läuft wieder das Achsfett durch die Gewindelöcher. Deshalb lege ich während der Arbeiten, bis zum Schluss einen kleinen Lappen von innen/hinten dagegen und nehme es erst bei der Montage weg.
Dann geht es recht schnell, eine der neuen Schrauben durchgesteckt, Papierdichtung drüber (hinten auf die Postion der ABS-Sensor-Öffnung achten) und vorne den Achsstumpf mit der Flachen Seite des Stumpfs nach oben vorsichtig über die Welle schieben und anschrauben. Die Welle dabei bis zum Kontakt mit der Anlaufscheibe herausziehen. Die sechs Schrauben werden mit 65 Nm angezogen (im Kreuzverfahren). Bei den hinteren Stümpfen wird die Position durch die Öffnung des ABS-Sensors bestimmt.
Gewinde säubern
Der ganze Radträger, also Bremsscheibe und Nabe, wird zuerst mit einer Drahtbürste gereinigt. Bei den hinteren Naben insbesondere das zahnradähnliche Feld für den ABS-Sensor auf der Rückseite der Nabe. Mit einem M10er Gewindeschneider, Bremsenreiniger und Druckluft entferne ich allen Dreck und Reste von Dichtungsmassen aus den Gewindelöchern des Mitnehmers. Danach entfette ich ich alles.
Lager ausschlagen und einpressen
Dann ging es an das Ausschlagen der alten Lagerschalen. Dazu eignet sich gut ein Schlagbolzen von 3-5 mm Stärke. Die Lagerschalen stehen etwas nach innen über, und auf diesen Rand muss der Schlagbolzen angesetzt werden. Dann mit ein paar Schlägen beide Schalen austreiben. Den Ansatzpunkt für die Schläge immer wieder wechseln, damit die Schale nicht verkantet.
Das Einpressen (oder Einschlagen) der neuen Lagerschalen geht am besten mit einer alten Lagerschale, die aufgeschnitten (Flex) wurde. Sie passt genau auf den Rand der neuen Lagerschale und lässt sich problemlos mit den Fingern wieder heraussnehmen. Um die nötige Tiefe zu erreichen, die Lagerschale muss bis zum Anschlag eingepresst werden, nimmt man noch eine zweite dazu, aufgeschnitten oder nicht.
Nach dem Einpressen der hinteren Lagerschale, fette ich das erste Lager und die Lagerschale gut und reichlich, setze es ein und dann kommt der neue Simmerring dahinter. Das zweite Lager wird erst später eingesetzt.
Lager fetten
Das Lager muss gut und ausreichend, sagen wir großzügig, gefettet werden. Es ist ein entsprechendes Wälz- und Lagerfett zu nehmen. Ich nehme immer das Liqui-Moly LKW Wälz- und Lagerfett 3347. Zuerst presse ich zwischen Käfig und Lagerrollen von beiden Seiten das Fett mit der Einhandfettpresse. Dann drücke ich auf einen Plastikhandschuh, einer Plastiktüte o.ä. einen guten Haufen Fett und „massiere“ es in das Lager ein.
Dann wird das Lager eingesetzt und der Simmerring für den Achsstumpf vorsichtig eingeschlagen. Dazu nutze ich ein altes Traggelenklager, das etwas größer vom Durchmesser ist, als die Öffnung. Damit kann ich den Simmerring gerade bündig setzen. Danach nehme ich wieder eine aufgeschnittene Lagerschale und treibe den Simmerring bis auf eine Tiefe von ca. 4 mm ein. Solltet ihr mal nicht den Achsstumpf mit tauschen, kann die Tiefe leicht variiert werden, damit der neue Simmerring nicht auf den alten, eingefahrenen Spuren läuft. Jetzt bekommen die Gummilippen des Dichtrings auch noch etwas Fett.
Radträger montieren
Der ganze Radträger wird jetzt vorsichtig über den Achsstumpf geschoben, bis er hinten anschlägt. Der Bremssattel kann jetzt wieder über die Bremsscheibe gestülpt werden. Oder später. Ab dem Td5, also auch beim Td4, wurden Distanzhülsen zur Lagereinstellung benutzt. Habt ihr dieses System, könnt ihr jetzt die alte Distanzhülse auf dem Stumpf schieben und dann das zweite, gefettete Lager hinterher. Nun folgt die dicke Anlaufscheibe und dann die (neue!) große 52er Lagermutter mit dem Kragen. Sie wird erst mit 35 Nm angezogen. Dann den Radträger an der Bremsscheibe packen und hin und her drehen und verkanten, damit sich die Lager setzen. Danach mit 210 Nm anziehen und den Schlagkragen der Mutter mit einem Meisel auf die flache Fläche des Achsstumpfs aufschlagen. Das sichert die Mutter vor dem selbstständigen lösen.
Sind neue Distanzhülsen nötig?
Die Distanzhülsen müssen u.U. nur erneuert werden, wenn die Radnabe getauscht wurde, da einzig sie für den Abstand der Lagerschalen und somit der Lager verantwortlich ist. Die Lager werden mit einer wesentlich höheren Präzision gefertigt, als die Naben. Oft wird gesagt, dass die Distanzhülsen auch bei einem Achsstumpftausch fällig werden können. Aber wenn es beim Achsstumpf zu anderen Toleranzen gekommen gekommen sein sollte, dann kann es höchstens passieren, dass ihr nicht genug Anpressdruck auf die Lager bekommt (zu kurzes Gewinde), aber da helfen auch keine anderen Distanzhülsen. Ich hab edas in der Praxis auch noch nie erlebt. Das erklärt sich aber auch, wenn man die Zeichnung von Jochen „Corvus“ Rohr im Landypedia anschaut: Radlagersysteme Land Rover Defender.
Wenn neue Distanzhülse, dann…
Wenn neue Distanzhülsen nötig werden sollten, könnt ihr entweder auf das hülsenlose System mit zwei Radlagermuttern und Umschlagscheibe wechseln oder ihr messt die neue Hülse ordentlich aus. Dazu muss mit einer Messuhr das Spiel der aktuellen Hülse ermittelt werden. Dieses Spiel wird zwischen Nabe und der Radlagermutter ermittelt. Wird kein Spiel gemessen, muss zunächst die breiteste Hülse (15,5 mm, Lila/Purple) genommen werden. Habt ihr dann kein Spiel, belassen. Ansonsten, das dann auftretende Spiel ausmessen und in der Tabelle die richtige Hülse ermitteln. Ebenso, wenn ihr direkt ein Spiel messt.
Spiel (mm) | Hülsenbreite (mm) | Farbcode |
---|---|---|
0,00 | 15,5 | Lila/Purple |
0,025 | 15,4 | Gelb/Yellow |
0,05 | 15,4 | Gelb/Yellow |
0,075 | 15,4 | Gelb/Yellow |
0,1 | 15,3 | Rot/Red |
0,125 | 15,3 | Rot/Red |
0,15 | 15,3 | Rot/Red |
0,175 | 15,2 | Blau/Blue |
0,2 | 15,2 | Blau/Blue |
0,225 | 15,2 | Blau/Blue |
0,25 | 15,2 | Blau/Blue |
0,275 | 15,1 | Grün/Green |
0,3 | 15,1 | Grün/Green |
0,325 | 15,1 | Grün/Green |
0,35 | 15,1 | Grün/Green |
0,375 | 15,0 | Schwarz/Black |
0,4 | 15,0 | Schwarz/Black |
0,425 | 15,0 | Schwarz/Black |
0,45 | 15,0 | Schwarz/Black |
0,475 | 14,9 | Weiß/White |
0,5 | 14,9 | Weiß/White |
0,525 | 14,9 | Weiß/White |
0,55 | 14,9 | Weiß/White |
Endmontage
Jetzt kann der Bremssattel wieder montiert werden. Die 13er Vielzahnschrauben mit Schraubensicherung und 85 Nm anziehen. Dann die Zähne der Welle oder die des gereinigten und entfetteten Mitnehmers gut einfetten und die Auflagefläche mit einer Dichtmasse dünn bestreichen, auch um die Schraubenlöcher herum. Den Mitnehmer aufschieben und mit den fünf Mitnehmerschrauben und Schraubensicherung bei 65 Nm festschtrauben (Kreuzverfahren). Zuletzt mit dem Sprengring die Welle sichern. Auf den korrekten Sitz des Sprengrings in der Nut der Welle achten. Je nach Mitnehmer dann die Gumikappe mit Fett füllen und aufstecken oder bei den bekannten HD-Mitnehmern, die hier zu sehen sind, das Gewinde im 52er Schraubdeckel z.B. Mit Hylomar einstreichen und aufschrauben. Jetzt noch das Rad montieren und mit 110 bis 130 Nm im Kreuzverfahren die Radmuttern anziehen.
Fertig.